Um ein Missverständnis gleich zu Anfang aus dem Weg zu räumen: eine gute Bewertung nach Value-Kriterien bedeutet nicht notwendigerweise, dass sich der Aktienkurs einer solch gut bewerteten Aktie gerade an seinem Tiefpunkt befindet. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass der Kurs einer Aktie, nachdem wir uns für den Kauf entschieden haben, weiter in den Keller geht. Aber solange wir der richtigen Strategie folgen und dabei zusätzlich auf Diversifikation achten, braucht uns das nicht zu sorgen.
Wir wissen nicht, wie viele Anleger in der Geschichte des Investierens bereits versucht haben den Markt zu timen, d.h. den Wendepunkt eines Aktienkurses zu erraten. Wenn man sich einen beliebigen Chart ansieht, dann ist es ein Leichtes zu sagen, wann man hätte einsteigen sollen. Wir, die wir im Jetzt leben, haben diesen Luxus allerdings nicht. Ein Unternehmen bewerten und einen Wendepunkt erkennen sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Man bewertet nämlich ein Unternehmen basieren auf Daten der Vergangenheit, während man für die korrekte Erkennung des Wendepunktes Daten aus der Zukunft bräuchte. Erstere sind leicht verfügbar, bei den letzteren ist es bisher nur von Biff Tannen bekannt, dass er solche Daten irgendwie beschaffen konnte. Leider — auch das muss erwähnt werden — verbrachte er mehr Zeit mit Sportwetten als mit Aktienkursen, weswegen wir nicht weiter auf ihn eingehen möchten.
Schauen wir uns das Phänomen einmal am CLIQ Digital Chart an, der ersten Aktie im Value-Dividenden-Depot. Auf einen Blick erkennen wir, wann wir die Aktie hätten kaufen sollen (circa Anfang Q4 2022) und sogar, wann wir sie besser hätten verkaufen sollen (circa Mitte Q1 2023):
Aber wenn wir uns gedanklich zurück zum 12. Oktober 2023 versetzen — der obige Chart tut genau das — und eine Kaufentscheidung fällen möchten, können wir den Aktienkurs eben nicht voraussagen, auch wenn es eine Fraktion von Anlegern gibt, die meint, dass dies möglich sei – die sogenannten Chart-Techniker. Ob das tatsächlich möglich ist oder nicht, ist wiederum eine sehr spannende Frage, die mit Glaubenskrieg ähnlichen Mitteln geführt wird so wie seinerzeit die Frage, ob Windows oder MAC, vim oder emacs. Gerade in solchen Szenarien sollten wir unser Augenmerk auf empirische Literatur richten, aber das würde an dieser Stelle mal wieder weit über das eigentliche Zeil dieses Beitrags hinausgehen (wir nehmen das Thema mal auf die Redaktions-Roadmap für einen zukünftigen Beitrag).
Zurück zum 12. Oktober 2023 und der Kaufentscheidung: die Value-Bewertung eines Unternehmens sagt in kurzen Zeitskalen eben nichts über den möglichen Kursverlauf aus. Ist die Value-Bewertung eines Unternehmens dann überhaupt das richtige Mittel? Der Value-Bewertung liegt eine völlig andere Annahme zugrunde. Kurzfristig kann uns diese Bewertung nichts über einen Aktienkurs verraten, aber langfristig sollte das mit einer hohen Wahrscheinlichkeit anders aussehen, wobei auch hier Ausnahmen die Regel bestätigen.
Die Annahme ist folgende: kaufen wir ein solides (d.h. profitables) Unternehmen zu einem unterbewerteten (d.h. im Vergleich zu anderen Unternehmen günstigen) Preis, dann sollten dies alle Marktteilnehmer irgendwann erkennen und ihre Investitionsentscheidungen ebenfalls darauf ausrichten. Kurzfristig hingegen bestimmen Emotionen, Nachrichten, individuelle Entscheidungen und vieles mehr den Kursverlauf, die eben nicht durch die Unternehmenszahlen in irgendeiner Form vorhergesagt werden können.
Begeben wir uns jetzt zum 31. Oktober 2023, dann sehen wir wiederum ein anderes Bild:
Heute würden wir wohl nicht mehr auf die Idee kommen, CLIQ Digital am 12. Oktober zu kaufen – aber diese Informationen lagen uns am 12. Oktober gar nicht vor. Würden wir CLIQ Digital denn heute kaufen wollen, am 31. Oktober? Ist nun der Wendepunkt erreicht? Die unbefriedigende aber wahre Antwort dazu ist: wir können es auch am 31. Oktober nicht wissen.
Allerdings gibt es auch Licht im Dunkel, auch wenn dieses Licht nicht permanent hell erstrahlt, sondern üblicherweise nur viermal im Jahr uns klar den Weg weist. Dann nämlich, wenn das Unternehmen neue Quartalszahlen veröffentlicht, die es uns erlauben die Bewertung des Unternehmens zu aktualisieren und zu verstehen, ob das Unternehmen weiterhin auf Kurs ist oder nicht. Im Falle von CLIQ Digital wird dies am 2. November der Fall sein und mit Hilfe der Kurskontrolle App werden wir zeitnah die Aktie neu bewerten können.
Auch wenn dieser Beitrag etwas ernüchternd erscheinen mag, soll uns das nicht von unserer langfristigen Strategie abbringen. Unser Mittel zur Risikobegrenzung von Kursverlusten, wie wir sie in diesem Beitrag erfahren haben, ist nicht die Abkehr von der Strategie oder gar der panische Verkauf, sondern der Kauf der nächsten Aktie, allerdings aus einem anderen Sektor. Im folgenden Video erfährst du, wie Simon beim Kauf des zweiten Unternehmens für das Value-Dividenden-Depot vorgegangen ist und warum er sich dabei für den Sektor Energie entschieden hat.